03.04.2020 Ammenmärchen


Ich war hell auf begeistert und sehr positiv gestimmt, dass trotz der desolaten Lage durch das Corona-Virus Licht am Horizont zu erkennen war, als diese Nachricht über den Äther tickert. 9.000 Euro Soforthilfe vom Bund. 3.000 Euro Soforthilfe vom Land Niedersachsen. Strahlende Politiker im Rampenlicht, die Gutes vor den Augen der Öffentlichkeit kund taten. Das war am 21. März 2020.

Schon zwei Tage später relativierte sich die Aussage. Das kleine Wörtchen bis 9.000 Euro Soforthilfe wurde hinzugefügt. Über den Zeitpunkt der Verfügbarkeit wurde kein Wort verloren. Laut Duden bedeutet sofort „ohne zeitliche Verzögerung, unverzüglich“; somit wurde aus der Soforthilfe eine „Bleiben sie ruhig, irgendwann kommt sicherlich bald Hilfe“-Hilfe.

Zwischenzeitlich wurde auf den Zugriff von 3.000 Euro Soforthilfe vom Land Niedersachsen verwiesen. Leider war sie aber nicht zu beantragen, da Serverprobleme auftraten, da die zuständige Landesbank noch mit dem Lochkartensystem arbeitet und sich zum Gespött der IT-Branche machte. Als ich endlich die Förderbedingungen in der Nacht zum 27. März einsehen konnte, stellte sich schnell heraus, dass ich mit meiner Firma nicht zu den Förderwürdigen gehöre, der für eine Soforthilfe in Frage kam. Ärgerlich, unsere Umsätze waren im März erst um knapp 40% eingebrochen und hatten somit die geforderten 50% noch nicht erreicht. Die Alternative Liquiditätsprobleme anzugeben kam auch nicht in Frage. Ich bin in der komfortablen Lage auf recht hohe Überziehungskredite von meinen Banken zurückgreifen zu können. Diese hätte ich dann erst mal ausschöpfen müssen. So ein Dispo wird in der Regel mit 10-11% verzinst. Dann hätte ich die 3.000 Euro Förderung gleich an meine Bank weitergeleitet. Sowas macht vielleicht Sinn in einer Bankenkrise, um diese zu retten, aber nicht um ein Kleinstunternehmen am Leben zu halten. Alles halb so schlimm, dachte ich mir, stelle ich den Antrag eben erst im April. Da es ab Mitte März mit der Auftragslage rapide bergab ging, würden wir im April die 50% Umsatzeinbußen-Marke leider problemlos erreichen. Die paar Tage konnte ich ja noch abwarten, schließlich gab es eine Antragsfrist bis zum 30.04.2020.

In der Newsletter der NBank (die Bank, über die alle Soforthilfen abgewickelt werden müssen) wurde am 31.03.2020 um 18 Uhr bekannt gegeben: Jetzt kommt die Corona-Soforthilfe vom Bund! Programmstart 31.03.20 um 23.59 Uhr.

Was, Antragsschluss war eben doch noch der 30.04.? Mal eben die Bedingungen geändert? Was soll das denn? Wie geht das? Ist das erlaubt? Ist das fair und was ist mit dem Zitat von Herrn Scholz? Herr Altmaier, wie war das doch gleich mit Ihren Worten „Wir lassen niemanden allein“?

Von zwei selbstständigen Leuten in meinem Freundeskreis, die den Antrag rechtzeitig am 28.03. gestellt haben, konnte mir noch keiner einen Geldeingang bestätigen. Schnell geht anders, dabei erfüllen sie zu 100% die dritte Möglichkeit an die Soforthilfe zu gelangen: Ihr Laden wurde geschlossen. Somit also auch nichts dran zu rütteln, dass diese Geschäftsleute noch viel schlechter dran sind als ich mit meiner Firma und den Zuschuss genau so nötig haben.

Nein, ich war am 31.03. um 23.59 Uhr nicht am Rechner und habe versucht auf die Seite der NBank zu gelangen. Ich habe mir das Antragsformular erst am nächsten Morgen herunter geladen. Gut so, hatte ich wenigstens noch eine Nacht zum Durchschlafen. Jetzt wo ich das Formular und das Kleingedruckte kenne kann ich nicht mehr schlafen. Mich plagen leider Existenzsorgen. Denn ich bekomme keine 9.000 Euro vom Bund. Ich bekomme auch nicht bis 9.000 Euro. Ich bekomme gar nichts! Denn die Bedingungen haben sich verändert: Man bekommt jetzt einen Zuschuss für gewerblich Miete, Pacht und Leasingraten abzüglich eventueller Einnahmen und das errechnet sich wie folgt:

Angenommen ich habe anrechenbare Kosten von 4.500 Euro. Darin enthalten gewerbliche Miete Strom, Gas, ein Leasingfahrzeug und auch noch eine Maschine die über eine Leasing läuft. Nichts ungewöhnliches für ein kleines Unternehmen. Dazu kommen eigentlich auch noch Kosten für eine Rentenversicherung, die man aber nicht einrechnen darf, laufende Kredite (sind nicht mit einzuberechnen, da man diese ja stunden lassen kann) ebenso wie ein Gehalt, welches man sich natürlich zahlt um eine private Miete zu bezahlen und Lebenshaltungskosten abzudecken – darf nicht mit veranschlagt werden! Unterm Strich entstehen eigentlich nicht nur 4.500 Euro, sondern monatliche Kosten von realistisch angenommen 8.500 Euro. Um gut über die Runden zu kommen, Steuern zu bezahlen und eventuell auch eine kleine Rücklage bilden zu können, um später zu investieren, erwirtschaftet man monatlich rund 15.000 Euro Betriebseinnahmen. Gesundes kleines Unternehmen. Alles Tutti. Läuft und der Staat verdient jeden Monat mit. Jetzt kommt der Umsatzeinbruch. 50 % weniger Einnahmen durch Corona. Jetzt sieht die Rechnung wie folgt aus:

Einnahmen 7.500 Euro reicht also hinten und vorne nicht. Jetzt kommt die großartige Förderung, mal bildlich dargestellt wie es im Soforthilfeantrag aussieht:

Lasst Euch von dem Minus vor den Zahlen nicht täuschen. Es zeig nur die Differenz an. Bewilligte Fördersumme ist Null, da ich leider zu viel Einnahmen habe. Fakt ist nur, die 7.500 Euro Einnahmen reichen nicht, um die eigentlichen Kosten von 8.500 Euro zu decken. Das heißt, um nicht in die Miesen zu geraten muss ich meine Rentenversicherung beitragsfrei stellen, Kredite stunden und auf mein Gehalt verzichten. Das sieht der Staat auch so vor, denn jetzt kommt die Krönung: Weil ich ohne Gehalt mein private Miete nicht bezahlen kann und mir auch keine Lebensmittel kaufen kann, darf ich Grundsicherung beantragen. Grundsicherung ist nichts anderes als Arbeitslosengeld II. In Zahlen 432 EUR.

Ich habe hier auch noch mal ein Beispiel eines kleinen Einzelhändlers. Sehr solider Mensch. Kauf nichts auf Pump, und hat nicht einmal sein Auto über die Firma geleast. Gesamt kommt er auf 600 Euro anrechenbare Kosten. Im ersten Monat hat sein Laden zwangsweise zu. Somit Einnahmen gleich null. Im Mai verkauft er für 100 Euro Gutscheine, weil es nette Menschen gibt die #support your local machen. Ab Juni geht sein Laden langsam wieder los und die Einnahmen steigen aus 1000 Euro. Schon schlecht für den Zuschuss, wie man sieht:

Nun könnte man meinen, dass es ganz viele Leute gibt, die einfach die Zahlen so eintragen, dass sie auf die volle Summe von 9.000 Euro kommen. Klar geht. Machen sicher auch welche. Ist aber langfristig gesehen etwas heikel. Zum einen gibt man eine Eidesstattlich Erklärung ab und sollten die Angaben falsch sein, was sich anhand der notwendigen Betrieblichen Auswertung schnell nachvollziehen lässt (und das rückwirkend bis 10 Jahre), wird dieses als Straftat gewertet und kann mit Freiheitsentzug oder Geldstrafe geahndet werden. Es könnte sogar noch etwas schlimmer kommen, denn vor dem Gesetz kann ein falscher Antrag auch als Subventionsbetrug gewertet werden, im Klartext Freiheitsentzug bis zu fünf in schweren Fällen bis zu zehn Jahre.

Wenn ihr das jetzt alles nicht verstanden habt, macht das nichts. Ich habe auch nur drei Nächte dafür gebraucht. Zeigt aber recht deutlich, dass die Aussage von Herrn Scholz in Form von „schnelle unbürokratische Hilfe“ der absolute Hohn ist.

Und als Dank, bekomme ich jetzt von den unwissenden Nachbarn zu hören, dass es mir ja nicht schlecht gehen kann, mit den 9.000 Euro Soforthilfe die der Staat mir schenkt. Danke GroKo.

Der Eintrag basiert auf meinem Kenntnisstand des heutigen Tages. Die Informationen und aufgestellten Regeln haben derzeit ja eine Halbwertzeit von wenigen Tagen (siehe Änderungen von Antragsfristen). Wer weiß, wie sich das alles noch entwickelt.

In den nächsten Tagen werde ich ein paar Tipps zu kreativen Buchführung geben. Der Unmut über diese Fördergeschichte bringt mich auf wirklich schräge Gedanken. Wir lesen uns.

Ein Gedanke zu „03.04.2020 Ammenmärchen“

  1. Lieber Julian,
    was soll ich dazu sagen? Dass ich mich nicht wundere?
    Aber die Damen und Herren von der CHRISTLICH demokratischen/SOZIALEN Union und der SOZIALEN Partei Deutschlands stehen mit ihrem Milliarden-Programm super da.
    Haltet durch und bleibt gesund!
    LG

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